Dezember 2001

Felix Droese



Antiphysikalischer Flügel
Holzschnitte und Objekte

Vernissage und Vorstellung der Vereinsedition:
Sonntag, 2. Dezember 2001, 11:30 Uhr

Eine Hummel kann, wissenschaftlich betrachtet, aufgrund ihres vielfachen Körpergewichtes eigentlich gar nicht fliegen - und dennoch macht sie es. Physikalische Gesetze scheinen bei ihr aufgehoben und wir sind bereit, dies zu akzeptieren. Nicht weniger sind wir willens, die Schwerkraft zu ignorieren und dem "antiphysikalischen Flügel" von Felix Droese eine gewisse Freiheit zuzubilligen. Wie schwebend beherrscht der massive, tiefdunkel eingefärbte Druckstock aus Eiche die gesamte Wand, dynamisch und unmittelbar präsent. Ihm gegenüber das Pendant dazu, ein Abdruck seiner selbst auf einem Bettuch, trotz seiner Zweidimensionalität nicht weniger intensiv. Zwischen beiden Arbeiten ein aufgeladener leerer Luftraum, spannungsvoll, der unschwer das Gefühl vermittelt, dass der Flügel wirklich

schwebt. Wider aller Erfahrungen und entgegen eines besseren Wissens will die Wahrnehmung sich verselbstständigen. Der "antiphysikalische Flügel" möchte fliegen und in unserer Phantasie hat er sich bereits von der Wand befreit.

Droese, 1950 in Singen geboren, studierte von 1970 bis 1976 an der Kunstakademie in Düsseldorf, wo er Kontakt zu Peter Brünning und Joseph Beuys hatte. Frühzeitig entwickelte er ein eigenständiges zeichnerisches Werk, das sein zeitkritisches Denken in der Wahl der Materialien und Formen zu erkennen gibt. 1980 trat Droese erstmalig mit den "Schattenrissen" an die Öffentlichkeit, große dunkle Papierschnitte, die ihm bereits 1981 bei der Kölner Ausstellung "Westkunst" sowie

1982 auf der Kasseler "documenta" große Anerkennung brachten. 1988 weckte der Künstler internationales Aufsehen, als er als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland mit der Arbeit "Haus der Waffenlosigkeit" an der "XLIII Biennale Venedig" teilnimmt.

Die Arbeiten des in Mettman lebenden Künstlers haben eine philosophische Tiefgründigkeit, die sich dem Betrachter nicht ohne weiteres erschließt. So bewegt sich sein Schaffen zwischen Figuration (Flügel) und Abstraktion (Schwarze Biologie), zwischen schlichter Symbolik (balance of power) und einer Ästhetik, die sich von gültigen Vorstellungen befreit (3 Bodenobjekte). Alle Themen aber stehen inhaltlich miteinander in Verbindung, wie auch die Art seines

Umganges mit den Materialien Papier, Farbe, Holz, Glas und Eisen, mit organischen Gebilden und Soffen sowie (hier nicht vertreten) mit der Fotografie. Grundsätzlich leben die Arbeiten von strukturellen Spannungen zwischen Massen und feingliedrigen Details, zwischen aggressiven und verletzli-chen Charakteristika. Wahrlich keine leichte Kost, nichts Glattes und schnell Konsumierbares, nichts Flüchtiges oder Trendiges, das sich einer allgemeinen Strömung unterwirft. Im Gegenteil! Die Arbeiten von Felix Droese nötigen den Betrachter zur intensiven geistigen Auseinandersetzung - und das nicht nur im Hinblick auf ihre unmittelbare Präsenz. Durch Aufgreifen von aktuellen Themen wie "Arbeitsplatz", "Balance of power", "Geld"

oder das auf dem "antiphysikali-schen Flügel" lesbare "Neue Zusammenleben" gleichen die Werke vielmehr einem Querschnitt gesellschaftlich relevanter oder aktuell-politischer Fragestellungen. Mitdenken ist unbedingt zwingend.

Die Werke im Kunstverein Region Heinsberg sind nicht für diese Ausstellung entstanden. Allein die Auswahl der Exponate sowie ihre Platzierung orientiert sich an den speziellen räumlichen Gegebenheiten, die beispielsweise das besagte Gegenüber von Druckstock und Abdruck des "antiphysikalischen Flügels" erlaubt. Seine Überlegungen zur Kunst sind Zeugnis eines Künstlers, der gesellschaftliche Zustände und Befindlichkeiten unermüdlich kritisch hinterfragt. Wie Franco Basaglia bereits

1980 schreibt, berichten seine Arbeiten "von dem Krieg im Frieden, von seinen Waffen, von seinen Folterinstrumenten und Verbrechen, von dem Krieg, der uns langsam dazu bringt, Gewalt und Grausamkeit als Normalzustand zu akzeptieren. Krankenhäuser, Gefängnisse, Irrenhäuser, Fabriken und Schulen sind die bevorzugten Orte, an denen dieser Krieg geführt wird, wo seine lautlosen Massaker stattfinden, seine Strategien sich fortpflanzen, im Namen der Ordnung." In diesem Sinne ist die Ausstellung von Felix Droese im Kunstverein Region Heinsberg darauf angelegt, nachdenklich zu machen, um sich bewusst den Aufgaben von Gesellschaft und Politik zu stellen. Wie Felix Droese treffend bemerkt, ist Kunst keine besondere Form der Unterhaltung, sondern sie hat moralische

Aufgaben. Ist man sich dessen bewusst, dann bekommt der schwere Eichenflügel wahrlich Flügel. Dann fliegt er wie die Hummel, die ja eigentlich gar nicht fliegen kann. Sie weiß es nur nicht.