Juni 2001

Christine Rokahr



Unter der Oberfläche
Gipsreliefs und Wasserbecken

Vernissage im Rahmen eines Künstlergespräches und Vorstellung der Vereinsedition:
Sonntag, 10. Juni 2001, 11:30 Uhr

Moderation: Dr. Christian Krausch

Unter diesem Titel zeigt die 1961 in Hannover geborene Künstlerin erstmals im Kunstverein Region Heinsberg eine Installation von Gipsreliefs und Wasserbecken.

Die Werkgruppe der Wasserbecken existiert seit 1993. Es handelt sich um Betonbecken die innen farbig bemalt sind und randvoll mit Wasser gefüllt auf dem Boden oder an der Wand installiert werden. Durch die Reflektionen auf der Wasseroberfläche wird der umgebende Raum in die Malerei einbezogen, im Boden ergeben sich farbige Tiefen.

Die Gipsreliefs (seit 1999) bestehen aus eingefärbtem Gips und werden an der Wand installiert. Die Objekte entstehen in mehreren

Gießvorgängen. Dabei arbeitet die Künstlerin mit dem gelenkten Zufall. Es entstehen organische Formen, die durch die Materialität und die hellen Farben wie eine Erweiterung der Wand in den Raum anmuten. Die Reliefs verstehen sich als Einzelelemente, die in ihrer raumbezogenen Anordnung sowie auch in ihrer Bezugnahme zueinander einen neuen Rhythmus der Wand schaffen. Im Zusammenspiel mit den Wasserbecken erfährt darüber hinaus der gesamte Raum eine neue Struktur. Der Schein der Oberfläche wird folglich hinterfragt.

Gedanken zum Werk von Christine Rokahr

Es ist eine Premiere für die Künstlerin. Keine Ausstellungspremiere an sich, davon überzeugt die Liste der Einzel- und Gruppenausstellungen. Gemeint ist die hier anzutreffende Kombination zweier Werkkomplexe; die der seit 1993 entstandenen Wasserbecken sowie die der erst seit 1999 erstellten Gipsreliefs. Nach Henrik Hüpedens "Ausstellung mit einer Auswahl zeitgemäßer Lehrmittel" in formaler Strenge wird es bunt, beinah flauschig, zumindest ein wenig poppig im Kunstverein. Assoziationen stellen sich ein und lassen an Blumen, Pflanzen, Lebensmittel und verführerische Cremeschnittchen denken. Der Blick in eine bislang unbekannte Planetenkonstellation vielleicht??? Je nach

Fantasie sind der Vorstellungskraft keine Grenzen gesetzt. Die Künstlerin selbst ist angetan vom Dialog zwischen der realen Flora außerhalb des Kunstvereins und dem Fantasiegebilde einer künstlichen Pflanzenwelt im Inneren des Raumes. Beinah lässt sich an ein gewaltiges Gewächshaus denken, dessen exotischer Bewuchs uns in eine Traumwelt zieht.

Wo kürzlich noch strenge Wandmalereien oder entsprechende Papierarbeiten hingen, erobern nun zahlreiche Objekte aus gefärbtem Gips die Wände. Wo Raum bei Hüpeden durch die Verschränkung von Farbe und Linie sich illusionistisch vor den Augen der Betrachter entfaltete und sich auch gleichzeitig wieder entzog, ist das Thema Raum bei Christine

Rokahr deutlich und wahrhaftig spürbar. Alle Arbeiten umspielen aufgrund ihrer Dreidimensionalität und Vielschichtigkeit oder Tiefe das Thema der Räumlichkeit. Aber die Darstellung von Raum ist nicht unbedingt Christine Rokahrs oberstes Anliegen. Vielmehr ist es das Spiel mit Oberflächen sowie und insbesondere die Auslotung des Materials Gips.

Die jüngeren Arbeiten: Pigment versehener Gips wird in mehreren Arbeitsgängen in Form gebracht. Jede Arbeit ist anders. Die Künstlerin spricht in diesem Zusammenhang vom "gelenkten Zufall".

Gelenkter Zufall findet sich auch bei der Präsentation der Arbeiten. So wie jedes Objekt von der Spannung (oder auch beinah

geschmeidigen Verbindung) der einzelnen Elemente lebt, entwickelt überdies die Anordnung an der Wand (Gipsreliefs) und im Raum (Wasserbecken) einen Dialog.

Die linke Wand ist in sich ebenso stimmig, wie die Anordnung der kleinen Arbeiten im oberen Raum.(Editionen)

Die Installation aller Gipsarbeiten und Wasserbecken in der Nische formiert sich bewusst zu einem Gesamtensemble, beinah ein "begehbares Bild", das durch die tatsächliche Tiefe der Nische an enormer Räumlichkeit erfährt. Die Oberfläche des "Bildes" wird quasi transparent gemacht und man schaut sozusagen in die tieferen Schichten eines übergreifenden Bildes. Der Blick unter die Oberfläche ist damit

erzielt. Die Oberfläche der Wand antwortet auf die Oberflächen der Arbeiten und tritt damit in einen Dialog. Wand oder Raum wird neu strukturiert.

Im Obergeschoss finden sich die Editionen. 30 der individuellen kleinen Arbeiten sind für den Kunstverein reserviert und können von den Abonnenten beinah wie Blüten von der Wand gepflückt werden. Das Gesamtensemble über Eck lebt abermals von der Dreidimensionalität des Raumes und entfaltet darüber hinaus durch die hier anzutreffenden speziellen Lichtqualitäten eine zarte Farbaura auf der Wand. Darüber hinaus sind jenseits des Editionsensembles einzelne ganz junge Arbeiten anzutreffen, die wie festgesogen auf der Wand sitzen. Hier ist eine Entwicklung zu

sehen, die das Experimentelle im Werk von C.R. deutlich spüren lässt. Wie sie selbst sagt, ist der Umgang / das Ausloten mit dem Material noch lange nicht abgeschlossen. Der momentane Status Quo lässt voller Spannung der weiteren Entwicklung entgegensehen.

Dr. Christian Krausch