Mai 2002

Geneviève Gilabert



Construction

Ausstellungseröffnung:
Sonntag, 5. Mai 2002, 11:30 Uhr

Es spricht: Dr. Edith Decker-Phillips

Die seit 1991 in Deutschland tätige Französin Geneviève Gilabert widmete sich nach anfänglichen Studien der Kunst und der Kunstgeschichte ganz der Fotografie. 1990 erhielt sie das Diplom der Ecole Nationale de la Photographie in Arles. Mit Andreas Teuchert realisierte sie in den 90er Jahren mehrere Filme.

In den letzten Jahren trat sie mit Fotoserien von Gebäuden hervor. Sie portraitiert Häuser, Scheunen, Lagergebäude. Häufig wählt sie noch im Bau befindliche Häuser oder Bauruinen. Ihr Blick auf die Objekte ist distanziert und schonungslos. Sie wirken entfremdet als hätte ein Außerirdischer die seltsamen Behausungen der Erdbewohner dokumentiert. In der Präsentation kombiniert sie die fotografischen Aufnahmen gewöhnlich

mit Flächen oder integriert geometrische Farbkörper. Es widerstrebt ihr, ihre Bilder als Fotografie auszustellen.

In ihrer Heinsberger Ausstellung schlägt Geneviève Gilabert einen anderen Weg ein. Erst jetzt ist ihr bewusst geworden, dass ihr Interesse an unfertigen Bauwerken ganz persönliche Ursachen hat. In ihrer frühen Kindheit formte sich der Wunsch, mit den eigenen Händen ein Haus zu bauen. Jetzt als erwachsene Frau und freie Künstlerin erscheint ihr dieses Ziel in unerreichbare Ferne gerückt.

In der Ausstellung setzt sich Geneviève Gilabert erneut mit dem Thema Hausbau auseinander. Diesmal jedoch vor dem biografischen Hintergrund ihrer Sehnsucht

nach einer ihr gemäßen Behausung. Im Kontrast zu bunten Bildern von Eigenheimen zeigt sie ihre gezeichneten Entwürfe. In Grundrissen und Ansichten entwirft sie Architekturen, die vielleicht immer Utopie bleiben werden.

Die beiden anderen Teile der Ausstellung geben dem Betrachter Freiraum für seine eigenen Phantasien. Das Haus wird hier zum Zeichen reduziert. Einmal fällt es wie Regen vom Himmel eines Bildschirms, in einem anderen Raum fällt es als Schatten auf die Wand.

Edith Decker-Phillips

Als ich klein war und einmal in der Peripherie der Stadt Nòmes in Richtung Cabrières spazierenging...

Als ich klein war und einmal in der Peripherie der Stadt Nòmes in Richtung Cabrières spazierenging, sah ich ein Schild ªGrundstück zu verkaufen´.

Meine Mutter erklärte mir, was es bedeutete.

Ich war so beindruckt, daß der Wunsch, ein Grundstück zu kaufen, mich bis heute nicht mehr los ließ.

Eigentümerin eines Stückes der Erdoberfläche! Unglaublich! Ich sah mich weit entfernt in einem Raumschiff, zu meinem Co-Piloten

gebückt, den Zeigefinger in Richtung Erde: ªSiehst Du da? Das ist mein Grundstück, mein Stück Erde´. In unserem Sonnensystem, in unserer Galaxie! Man...

Meine Mutter ahnte nicht, was sie bei mir verursachte hatte.

Ab diesem Moment wollte ich ein Grundstück erwerben und ein Haus mit eigenen Händen bauen.

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ist es Häuser anzuschauen, alle Formen in einer Minute zu erfassen, und ein sekundenschnelles Expose an mich selbst zu liefern. Wie die Häuser gebaut sind, wie sie zueinander stehen, wie sie sich in die Landschaft oder die

Stadt integrieren, wie die Schatten und Lichtflächen korrespondieren, usw. Wenn ich fahre, betrachte ich jedes Gebäude, jedes Haus, jede Halle, jede Garage oder jede andere Art von Bauten. Grundformen haben sich langsam herauskristallisiert, obsessiv: Ich mag Kuben, grosse Öffnungen, Flachdächer und schlichte, einfache Grundrisse. Mehr Bau- als Landhaus. Leider das Gegenteil der heute meist üblichen Angebote...

Ich habe immer das Ziel aufrecherhalten, mir genügend Geld auf die Seite zu schaffen, so daß ich irgendwann ein Grundstück erwerben kann. Am liebsten in einem Gewerbegebiet (um etwas Lärm machen zu können, wenn ich Plastiken erarbeite), aber wasser- und naturnah.

Dafür habe ich studiert. Zuerst Fremdsprachen, da meine Mutter mich zurecht darauf hingewiesen hatte, dass mir nur eine vernünftige Arbeit genügend Einkommen ermöglichen würde.

Leider hat mir Gott eine ganz andere Idee von Vernunft ins Ohr geflüstert ªSei Dir selbst treu´.

Meine Mutter war verzweifelt, als ihre einzige Tochter das fast fertige Studium abbrach und ihr erklärte, es könne nur mit Kunst weitergehen. Die arme Mutter hatte mich schon als hochbezahlte Professorin in einen bürgerlichen Haushalt hinein geträumt.

Ich bin jetzt seit vielen Jahren freischaffende Künstlerin und meine Mutter ist leider immer

noch verzweifelt.

Das Problem mit dem Kunststudium ( und vielleicht mit anderen?) ist einfach. Man studiert 5 bis 7 Jahren in einer Kunsthochschule oder einer Universität der Künste (einer anerkannten und subventionierten Institution), erhält bei Abschluß ein Diplom dieser Kunsthochschule (fühlt sich dabei wie der Teil einer intellektuellen Elite) und erfährt dann in der Gesellschaft, dass es sich bei Kunst nicht um einen Beruf, sondern eventuell um ein Hobby oder eine Berufung handelt. Tatsächlich man fragt mich immer noch: Sie sind Künstlerin vom Beruf? Schön! Und was tun Sie, um Geld zu verdienen?

Der harten Wahrheit kann man nicht entweichen...

Die zeitgenössischen geistigen und handwerklichen Fähigkeiten sind deshalb nicht die Haupteigenschaften eines Künstlers, sondern eine eiserne Gesundheit und Selbstdisziplin, starke Nerven, ein unerschütterliches Selbstbewußtsein (Arroganz und sogar der Glaube an die eigene Genialität oder "Göttlichkeit" ist außerordentlich gesund) und (extrem gesund) Humor.

Ich wusste also recht schnell, daß meine Pläne vom eigenen "Grundstückchen" und vom "Häusle bauen" bis zu meinem nächsten Leben aufgeschoben sein werden, und vorerst in der Form von Träumen oder Kunstwerken sich

verwirklichen werden....

Geneviève Gilabert, Berlin, April 2002 (Teil 1)